"Die 'Rhapsody in Blue' ist ein zeitloser Hit"
Das BR-Symphonieorchester startet aus der Sommerpause mit einem Rhapsodie-Programm und Werken von Lutoslawski, Enescu, Ravel und Liszt. Hauptwerk des Konzertabends ist Gershwins "Rhapsody in Blue" - dessen Klavierpart der russische Pianist Denis Matsuev übernimmt. Susanna Felix hat ihn zum Interview getroffen.
BR-KLASSIK: Herr Matsuev, Sie haben Lutoslawski schon mit Jazz verglichen. Sie haben Paganinis Caprice Nr. 24 auch schon mit ihrem Denis Matsuev Quartett gespielt – in einer recht verjazzten Version. Welche Rolle spielt der Jazz in Ihrem Leben, in Ihrem künstlerischen Schaffen?
Denis Matsuev: Jazz ist meine zweite Liebe. Einige Journalisten haben bereits geschrieben, daß die klassische Musik meine Ehefrau ist und der Jazz meine Geliebte. Das stimmt auch irgendwie. Mein Vater ist mein Lehrer, er hat mir diese Liebe zu diesem fantastischen Musikstil eingeflößt. Jazz heißt Improvisation. Jazz ist nicht nur Musik, sondern Spontaneität. Die gibt es in der klassischen Musik natürlich genauso. Wie ich schon sagte, kann man während eines Konzerts plötzlich eine Idee für eine Improvisation haben und auf diese Weise viele aufregende Momente erleben. Manchmal gebe ich Jazzkonzerte mit meinen Freunden, alle grandiose Jazzmusiker. Mir gefällt das. Schon seit meiner Kindheit habe ich Aufnahmen mit den größten Jazzmusikern angehört: Oscar Peterson, Art Tatum, Keith Jarrett. Ich spiele Jazz oft als Zugabe, wie beispielsweise bei meinem letzten Soloabend hier im Herkulessaal im vergangenen Dezember. Dem Publikum gefällt das. Für die siebte und letzte Zugabe bitte ich das Publikum manchmal um musikalische Vorschläge, über die ich dann improvisiere. Das liebe ich. Jazz spielt eine große Rolle in meinem gesamten Leben - nicht nur in der Musik.
BR-KLASSIK: Das Thema Jazz führt uns gleich zum zweiten Stück des Abends: George Gershwins "Rhapsody in Blue". Wieviel Jazz steckt denn in dieser Musik?
Mariss Jansons, Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks | Bild: Peter Meisel
Heute | 20:03 Uhr
BR-KLASSIK
zur Sendung
Live aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz - Surround
Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks
Denis Matsuev: Sie gehört zum Jazz Standardrepertoire. Es ist genauso bekannt wie Tschaikowskys 1. Klavierkonzert oder das 2. von Rachmaninov. Es ist ein zeitloser Hit. Viele klassische Musiker, klassische Pianisten versuchen diese grandiose und geniale Musik zu spielen. Ich werde niemals vergessen, als ich sie zum ersten Mal hörte – damals noch auf Vinyl. Ich war noch sehr jung. Der russische Jazzpianist Alexander Tsfasman hat auf dieser Aufnahme die Rhapsody gespielt , und ich war begeistert von dieser Musik. Ich habe sie dann ohne Noten nachgespielt. Danach habe ich sie natürlich mit der Partitur studiert. Mit zwölf Jahren führte ich sie zum ersten Mal in meiner Heimatstadt Irkutsk in Sibirien auf, wo ich geboren bin. Es ist eine Mischung. Natürlich ist es vorrangig klassische Musik. Gershwin gehört zu den klassischen amerikanischen Komponisten und ist eine Legende. Es ist ein sehr dankbares Stück für jeden Pianisten, nicht nur für Jazzpianisten. Aber es zählt ebenso zu den Jazz Standardstücken. Ich spiele oft meine selbst komponierte Improvisation über diese wundervolle Rhapsody in Blue. Beim echten Jazz schreibt man die Noten ja nicht auf. Jazz entsteht spontan. Natürlich kann man Jazz auch nach Noten spielen. Aber dann ist es kein echter Jazz. Rhapsody in Blue ist ein toller Jazz Standard, ein fantastisches Thema. Aber erst wenn man darüber improvisiert, ist es wirklich Jazz.
BR-KLASSIK: Gershwin hat sich bei dem Stück für die Form der Rhapsodie entschieden. Das ist eine Form, die dem Komponisten sehr viel Freiheit lässt. Auch der Jazz ist etwas, was viel mit Freiheit zu tun hat. Passt die Form der Rhapsodie deshalb besonders gut zu dieser Musik?
Denis Matsuev: Ja, absolut. Die Rhapsody hat keine bestimmte Form, sie ist völlig frei von Regeln. Die Paganini Variationen von Rachmaninov sind Variationen im Stil einer Rhapsodie. Die Paganini Variationen von Liszt besitzen schon eine Form, es gibt einen langsamen und schnelleren Teil. Aber auch die "Rhapsody in Blue" von Gershwin hat eine gewisse Form. Es gibt drei oder vier wunderschöne musikalische Themen. Sie ist natürlich kein Klavierkonzert. Mir gefällt der rhapsodische Stil, er ist so frei und lässt der Interpretation viel Raum. Dieser Stil unterscheidet sich von dem eines Solistenkonzerts oder einer Sinfonie.
BR-KLASSIK: Sie werden die "Rhapsody in Blue" in ein paar Wochen wieder mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielen – in Zusammenhang mit dem Gershwin-Experiment, einem Education-Projekt, an dem Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland teilnehmen. Eignet sich da ein Stück wie die "Rhapsody in Blue" vielleicht besonders gut für so ein Projekt?
Denis Matsuev: Ja, doch. Man kann immer wieder abbrechen, und den Kindern etwas erklären. Die Rhapsody stellt ein tolles Material für ein solches musikpädagogisches Projekt dar. Sie eignet sich für jeden – sie ist Popmusik, klassische Musik und Jazz zugleich. Das ist genial, alles ist miteinander vermischt. Es gibt so viele Bearbeitungen von dieser genialen Komposition – von verschiedensten Musikern in unterschiedlichsten Stilen. Man kann den jungen Leuten sehr viel dazu sagen. Es ist geniale Musik.
Dann freuen wir uns schon jetzt auf das Konzert im Rahmen des Gershwin-Experiments im November. Herr Matsuev, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Susanna Felix.
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